Veröffentlicht am 3 Kommentare

Eltern werden – Paar bleiben

Eltern werden – Paar bleiben

Eltern werden – Paar bleiben

 

„Sandra, schreib uns einen Text zum Thema Eltern werden – Paar bleiben. So in etwa, was diese Transformation mit uns macht. Welche Chancen und Potenziale darin liegen! Und was man tun kann, damit das gelingt, Familie eben.“

 

Nein, ihr seid nicht mit exakt diesen Worten an mich heran getreten. Aber so ähnlich. Und ich raufe mir die Haare und ringe jetzt mit mir und meinem tatsächlichen Lieblingsthema, nennen wir es „Eltern werden – Paar bleiben“. Weil es so waaaaaahnsinnig komplex ist! Ich werde hier also mein Bestes geben, es einerseits zu beschreiben und zu erklären und euch andrerseits eine Orientierung, eine Landkarte, eine Empfehlung auszusprechen, wie Familie letztlich blühen kann. 

 

Dazu bitte ich den Leser/die Leserin während des Lesens seine/ihre rechte Gehirnhälfte zu aktivieren. Diese widmet sich den Prozessen – nicht den Inhalten wie ihr Pendant, die linke Gehirnhälfte. Das WIE des Miteinanders interessiert mich mehr als das, WAS gesagt wird. Weiters lade ich ein, beim Lesen in dir Bilder entstehen zu lassen. Wenn ich in Folge von Räumen spreche – lass sie vor deinem geistigen Auge entstehen. Sieh es vor dir! Imaginiere Prozesse! 

 

Wenn wir über Beziehungsgeflechte reden, müssen wir über Verantwortung reden. und über einen Gestaltungsimperativ. Und über unterschiedliche Rollen. Und um dich. Da beginnt alles.

Und dazu muss ich auf den Anfang einer jeden Beziehung schauen  – auf dich.

 

Man muss bei sich selbst gewesen sein, um zum andern ausgehen zu können. 

Martin Buber 

 

Stell dir dich jetzt einfach als in einem rosaroten Kreis stehend vor. Das ist der Raum um dich, mit dem alles beginnt. Als erwachsene Frau bist du für diesen, deinen Raum bis hin zu seinen Grenzen verantwortlich. Niemand sonst. Ich habe einmal gelesen: Erwachsen sein heißt, keiner kommt. Das bedeutet, dass du dir alle Wünsche und Bedürfnisse selbst erfüllen musst. Kannst! Was für ein Segen! Alles ist ein Ja zu Dir ohne ein Nein zu einem anderen sein zu müssen.

 

Wenn du nur mit dir bist, gibt es keine Erwartungen von aussen an dich. Es ist es egal, ob du Zähne putzt, dir die Haare wäscht oder nicht. Ob du aufräumst, oder eben nicht. Ob du gesund lebst, oder eben ich. Ob Schlabbershirt oder Dessous. Es ist dein Leben, deine Verantwortung und in deinen vier Wänden kannst du aussehen und riechen, wie du willst.

 

Solange du niemanden einlädst, oder?

 

Weil wir sind keine einsamen Inseln, sondern soziale Wesen, die miteinander interagieren. Die zusammen sein wollen. Die sich nach Begegnung, Berührung und Verbundenheit sehnen. Nach Intimität mit einem anderen Erwachsenen. 

Jetzt kommt dein Partner mit ins Bild. Auch er hat einen Kreis und Grenzen. Einen blauen. 

Wenn sich jetzt zwei unabhängig voneinander existierende, erwachsene Menschen zueinander bekennen, also beschließen, zusammen zu sein, dann entsteht aus dieser Verbindung etwas Neues, etwas Drittes, ein Commitment: Die Paarbeziehung. Aus 1 + 1 wird 3. Um die beiden Kreise herum  entsteht eine Ellipse: Der Paarraum. 

Und damit wächst und erhöht sich die Verantwortung – von beiden. Waren sie davor nur für sich selbst verantwortlich, konnten tun und lassen was sie wollten, so kommt jetzt die Verantwortung für den Paarraum dazu. Der Raum der sich rund um das Paar aufspannt ist einmalig auf dieser Erde, weil es dich und mich, unsere Chemie, nur dieses eine einzige Mal gibt. Und beide knüpfen (sagen wir mal „unbewusst“) Erwartungen an diesen Raum, an die Beziehung und ganz heimlich, nur ein wenig auch an den/die andere/n. Dazu Jesper Juul: „ Der Punkt ist, dass man alles erwarten kann und so viel Sie wollen, solange Sie Ihren Partner oder Ihr Kind nicht für Ihre Erwartungen verantwortlich machen. Ihre Erwartungen sind in Ihrem Kopf [in deinem Kreis, Anm.] und daher sind Sie verantwortlich für Sie.“

 

Behandle mich wie einen Fremden.

Walter Kempler

 

Zu Menschen, die dir „egaler“ sind, fremder, fällt es leicht, „Beziehung“ zu gestalten. Da reicht nämlich eine sozialverträgliche Höflichkeit, deine gute Kindestube, sozusagen. Das geht quasi automatisch: „Kannst du, bitte….! Danke! Kann ich dich kurz sprechen? Wo bewahrst du denn deine Weingläser auf? Möchtest du lieber Erdbeer- oder Vanilleeis? Nein, ich nehme keine Mich in den Kaffee. Gerne!“ Easy! 

Wenn aus zwei Individuen ein Paar wird verändert sich allerdings die Beziehungs-Wahr-Nehmung.

 

Oh wie viele Nächte wusst’ ich nicht, was gefehlt hat

Wär nie drauf gekommen, denn das warst ja du

Und wenn ich dir oft von meinen Problemen erzählt hab

Hätt’ ich nie geahnt, du warst der Schlüssel dazu

Doch so aufgewühlt hab ich dich nie gesehen

Du liegst neben mir und ich schäm mich fast dabei

Was war bloß passiert, wir wollten tanzen gehen

Alles war so vertraut und jetzt ist alles neu

Jetzt ist alles neu

Tausend mal berührt, tausend mal ist nichts passiert

Tausend und eine Nacht und es hat Zoom gemacht

Klaus Lage, 1000 und 1 Nacht

 

Und es ist jetzt die Aufgabe von euch BEIDEN, diesen Raum, dieses „Zoom“ zu bespielen – was in der Verliebtheit noch ein sehr einfaches und engagiertes Unterfangen mit vielen leichten JAs zum anderen ist. Gutes soziales Benehmen ist selbstverständlich. 

Für die Raumpflege sind beide Individuen exakt gleich verantwortlich. Und je bewusster und aktiver und absichtsvoller der Raum gestaltet wird, umso feiner ist die Beziehung. Meist ist es so fein, dass das Paar beschließt, (später werden sie sagen, sie hätten es GEMEINSAM beschlossen), dass sie ein Kind wollen, eine Familie gründen wollen. 

 

(…) Die Kernaussage ist, dass es in einer Liebesbeziehung keinen Unterschied mehr gibt, zwischen deinem Problem und meinem Problem. Alle Probleme sind automatisch unsere Probleme, da sie einen Einfluss darauf haben, was zwischen uns passiert. Daher sind beide Partner dafür verantwortlich, was von nun an passiert. 

Jesper Juul 

 

So entsteht aus der buchstäblichen, temporär begrenzten Verschmelzung der beiden Kreise ein neuer Kreis, der während der Schwangerschaft in der Mutter heranwächst. Gleichzeitig findet wieder eine Rollentransformation statt: Vom Ich mit mir alleine zum Ich als Partner/Partnerin zum Ich als Mutter/Vater. Wir werden also mehr. Nicht nur an der Anzahl an Familienmitgliedern, sondern als Mensch. Das nennt man landläufig „wachsen“. 

Und dieses Kind wird nun in den Paarraum hineingeboren, der in der Bindungsphase demütig als äußere Gebärmutter dient, in der die Bedürfnisse des Säuglings 24/7 unmittelbar erfühlt und erfüllt werden wollen. Am Besten von beiden Elternteilen. Das nennt man Attachment Parenting. Und ihr seht: Die Verantwortung steigt wieder! 

Während dieser Zeit wird der nächste Raum um den Paarraum gespannt: Der Familienraum. Ich stelle ihn mir rechteckig vor.  

 

Ist das nicht elegant, wie das Leben uns Zeit lässt, alles zu bauen, alles zu integrieren? 9 Monate Schwangerschaft als Vorbereitung für den äußeren Uterus – als Vorbereitung, die Paarbeziehung zeitweilig in den Hintergrund zu rücken und den Raum mit dem Neugeborenen zu teilen. 18 Monate Bauzeit für den Familienraum in den das Kind ab der Explorationsphase hineinwächst. So kommt mit dem Familienraum ein weitere Verantwortung für die Erwachsenen hinzu. 

 

Ich fasse zusammen: Du bist jetzt verantwortlich für

DICH als Individuum

DEN PAARRAUM und dich als Partnerin/Partner

DEN FAMILIENRAUM und dich als Mutter/Vater

DEN KLEINEN KREIS DARIN

In dieser Priorisierung. Was für eine Rollenvielfalt!!!

 

Das Ziel aller Erziehung ist, dass der Mensch von Gebundenheit zur Verbundenheit komme.

Martin Buber

 

Wie das Kleinkind sich nun immer autonomer als eigener kleiner Kreis in diesen Räumen bewegt, so sind wir als Individuen (Kreis), Paar (Ellipse) und Eltern (Rechteck) gefordert, die Grenzen aller sich einander bedingenden Räume klar zu wahren und gut abzustecken, indem wir spätestens jetzt (wieder) den Ort in uns finden müssen, wo unser Ja und unser Nein wohnen. Weil klare Ansagen erzeugen zwar mitunter einen Konflikt, geben aber Orientierung. Und eines ist gewiss: Unsere Kinder latschen über alle diese Grenzen hinweg und fordern genau das: Verantwortung und Orientierung. Je mehr Kreise im System umso mehr Berührungspunkte, Reibungen, Begegnungen, Konflikte. Es ist ein bisschen wie Autodrom-Fahren. Und alle Beteiligten der Fahrt werden mit allem Unaufgelösten, Verdrängtem, Traumatiserten, Versteckten und Verborgenen konfrontiert. Gnadenlos. Bämm! 

 

Sind all diese Räume erst mal da, gehen sie nicht mehr so leicht weg. Sie sind. Und du musst damit umgehen anstatt sie zu um-gehen. 

 

Wir laden uns mit jeder weiteren Verantwortung, mit jeder weiteren Erhöhung des Commitments mehr auf, haben mehr zu bewältigen, zu gestalten und der Stress steigt. Manche Paare haben dann noch zusätzlich zu dem schon Vorhandenen viele gute Ideen und wollen Karriere machen, ein Haus bauen, sich um die Befindlichkeiten der eigenen Eltern annehmen, einen Hund kaufen, Hobbies und Freundschaften pflegen, ein zweites Kind bekommen, einen Kredit aufnehmen. Alles wie früher eben. 

 

Es wird Aktivitäten geben, die sie aufgeben werden müssen. Es wird auch wichtige Dinge geben, die Sie für das Wohl Ihrer Familie opfern müssen, aber nur Sie können fühlen, dass das für Sie ok ist. ist das nicht so, dann ist der einzige Weg aus dem Dilemma mit dem Partner/der Partnerin darüber zu sprechen.

Jesper Juul

 

Es ist nicht mehr so, wie es früher einmal war. Es ist schon mehr. Und dieses Mehr will gestaltet werden. Ich spreche hier gerne vom Gestaltungsimperativ monogamer Beziehungen im Familienkontext. Dazu braucht es Disziplin und Reflexion. Sonst hat das gute Benehmen ein Fade-Out, und gelerntes, automatisiertes schlechtes, unreifes  Verhalten  übernimmt und verschmutz den Paarraum: 

„Wo hast du … schon wieder hingelegt? Hörst du mir eigentlich zu? Du hast schon wieder das Erdbeereis vergessen! Ich habe dir schon hundert Mal gesagt, dass ich den Kaffee schwarz trinke! Echt jetzt!“ Das ganze untermalt mit Augenrollen und/oder Kopfschütteln. Auch easy. Weil es das im Kleinhirn eingebrannte Ergebnis unserer eigenen Erziehung ist. 

 

Wenn ich genau DAS nicht will, dann bedeutet das, dass ich 

-mein ganzes Gehirn benutzen muss

-mein Herz öffne 

-Allen Räumen und allen Rollen ausreichen Zeit und Raum widmen muss – bezugnehmend auf und in Absprache mit meinem Partner 

-Meine Grenzen neu Kennenlernen muss

-lernen muss, zu enttäuschen, indem ich mich mit meinen NEINs  meinem Partner zumute und darauf vertraue, dass die Enttäuschung e

rwachsen verarbeitet wird

-Mein Bedürfnisse neu erfahren muss

-Eine Balance der Raumbespielung finden muss

-Mich Konflikten stellen muss 

-Mich inneren und äußeren Prozessen aussetzen muss 

-Prioritäten setzen muss

-Enttäuschen muss, wenn ich Ja zu mir sage und lernen muss, mit Enttäuschungen umzugehen

-Meine Erwartungen und Idealvorstellungen kenne – um mich entweder davon zu verabschieden oder zumindest einen Realtiätsabgleich zu machen

-Meine Stressbewältigungsstrategien Kennenlernen und möglicherweise erweitern muss – denn die reichen für das Neue, Komplexe fix nicht aus. Bei niemandem. 

-Nicht nur Wissen über Kindererziehung anzuhäufen, sondern über mich und meine ICHS in dieser Familie. 

-Mich den Herausforderungen der Wachstumsmaschine Paarbeziehung stelle

-aufhören muss, mich und andere mit meiner Wahrnehmung zu schonen

-eine Entwicklungsbereitschaft zeigen zur Entelterung, zum Erwachsensein anstatt mich über andere oder anderes zu definieren 

-kurz: leben muss.

 

Unterscheide AP:

Attachment Parenting – Adult Partnering

 

Dem kann dann Adult Partnering folgen. Es ist mir ein wirklich dingliches Anliegen und ich werde nie müde zu betonen, dass eine Beziehung zwischen zwei Erwachsenen, einem Paar,  etwas anderes ist, als eine Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Letzteres scheint vielen leichter zu fallen! Erwachsene beziehen sich freiwillig und unabhängig aufeinander, müssen nicht zusammen sein. Erwachsene haben ein ausgebildetes funktionierendes Frontalhirn und können ihre Emotionen managen. Könnten. Erwachsene haben die Wahl, ob sie aus ihrem Besten oder aus ihrem Schlechtesten handeln wollen. Erwachsene kennen Zeit und haben diesbezüglich einen Überblick. Erwachsene kennen die Konsequenzen ihrer Handlungen. Sollten. Könnten. Müssten.

Ich wiederhole und erinnere an dieser Stelle an den Gestatungsimperativ von Beziehungen. Jede von dir gesetzte Handlung/(Un)Tat ist eine Aussage. Und als Erwachsener kannst du jede Situation wandeln. Oder hinterher wieder gut machen. DAS erzieht. 

 

Das Zwischen muss täglich neu  aufgebaut werden. 

Martin Buber 

 

All diese Räume spannen sich immer wieder neu auf. Sind lebendig in Bewegung. Es ist wie ein Tanz ohne selbstverständliche Choreographie. Es ist ein immerwiederkehrendes Aufeinander einstimmen. Jedes Paar, jede Familie hat ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Musik.

 

Ein Copy – Paste der eigenen Herkunftsfamilie funktioniert nicht (mehr). Da ist es nämlich oft anders gewesen: Eine dominante geometrische Figur, ein Oberhaupt, in deren psychischen und emotionalen Grenzen sich alle aufhalten (müssen). Heißt: Solange ich nicht an diesen Grenzen anstoße, alles mache, womit der oder die eine einverstanden ist, ist alles in Ordnung. Darüber hinaus zu denken oder zu handeln ist nicht erlaubt. Das klarzumachen ist oft nur mit einem Blick nötig. Erzogen wird hier mit Angst und Machtausübung, Strafen, Manipulation, emotionaler und psychischer Erpressung. Das ist eintönige Marschmusik im Gleichschritt.

 

Deswegen ist es ein gemeinsamer Prozess, den das Paar vorbildlich gehen muss. Das ist neu. Das ist schwierig. Das erfordert – im Gegensatz zum hirnlosen Marschieren – achtsames, bedachtes, absichtsvolles Handeln. Immer. 

Tanzt. 

Wie und mit welcher Absicht/Hintergedanken sich Paare innerhalb einer Familie aufeinander beziehen – DAS erzieht. 

 

Und so Ende ich mit einem „Rezept“ , das ich von einem guten Menschen geschenkt bekommen habe: 

Nimm dir

1 Stunde am Tag

1 Tag im Monat

1 Woche im Jahr für dich und deine Inventur, Innenschau und Neuausrichtung. Weil all DAS erzieht. Gibst du schon dein Bestes?

 

Copyright @wertschaetzungszone Mag.a Sandra Teml-Jetter, 2019