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Die elegante Ökologie von Beziehungen

Die elegante Ökologie von Beziehungen

Oft beginnt es mit einigen Vorstellungen darüber, dass wir „eine kleine Pause“ brauchen, oder mit dem Gefühl, dass man seine „Freiheit“ verloren hat. Vielleicht beginnt es mit der ersten Affäre des einen Partners draußen in der Stadt, oder als deutlicher Rückgang im sexuellen Zusammenspiel. Vielleicht ist das Signal nur eine allgemeine Mattheit, ständige kleine Streitereien oder drohende Scheidungsphantasien. Falls das Verhältnis sechs bis 13 Jahre alt ist, ist es wahrscheinlich das, was wir als „die erste 7-Jahres Krise“ bezeichnen, das sich bemerkbar macht. Diese Krise ist von vitaler Bedeutung für das Verhältnis und tritt im Großen und Ganzen in allen Familien auf. Der Zeitpunkt ist verschieden; vor ein – oder zwei Generationen, als der Wille, offene Konflikte zu haben nicht besonders ausgeprägt war, wurde dieser oft sehr lange hinausgeschoben und trat zum Schluss als sog. „Silberhochzeitskrise“ hervor. Man hielt aus, beugte sich und fand sich mit der Wirklichkeit ab, die nicht zur Veränderung stand.

 

Im Laufe der letzten 20 Jahre ist die Anzahl der Scheidungen während dieser Periode dramatisch angestiegen, ohne dass die Krise an sich ihren Charakter verändert hat. Aber sie ist immer eine schwere Krise, der man ins Auge sehen muss, und es ist weiterhin schwierig, sie auf eine solche Weise zu bearbeiten, dass sowohl das Verhältnis als auch die beiden Hauptpersonen gestärkt auf der anderen Seite hervortreten. Dieser Artikel will v. a. die wichtigsten Elemente in der Krise beschreiben, die notwendigerweise zu einer Trennung der beiden Individuen im Verhältnis führen müssen, die aber nicht aus sich selbst heraus zu einer Scheidung im juristischen oder geografischen Sinn führen müssen.

 

Zusammengehörigkeit und Trennung

 

Wenn wir Menschen ein näheres gefühlsmäßiges Verhältnis zu einem anderen Menschen eingehen, schwanken unsere Wünsche und das Bedürfnis nach Nähe zwischen zwei Außenpunkten: Zusammengehörigkeit und Trennung.

 

Wenn das Bedürfnis zur Zusammengehörigkeit erfüllt ist, besteht das Bedürfnis nach Trennung, und wenn dies befriedigt ist, meldet sich das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit von neuem. Wenn wir in einer Familie zusammenleben gibt es mehrere Faktoren, die diese Bedürfnisse täglich daran hindern, in einem organischen Rhythmus zusammenzuspielen. Wir sind fürs erste selten „synchron“; nur selten entsteht das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit oder Trennung zur selben Zeit bei beiden Partnern, und oft wird es nicht innerhalb desselben Zeitraums befriedigt. Hinzu kommt, dass Arbeit, Kinder, Freunde u. ä. auch das Ihrige abverlangen.

Wir sind selten synchron.

In den ersten Jahren eines Verhältnisses sind die wesentlichen Antriebskräfte, wie Walter Kempler es einmal etwas sardonisch ausdrückte, „Hormone und Neugierde“. Wenn diese Triebmittel reduziert werden, kommt die erste wichtige Krise, die u. a. zeigen soll, ob wir darüber hinaus, dass wir ineinander verliebt sind, den anderen auch lieben können. Nun ist dieser Unterschied zwischen lieben und verliebt zu sein ja nicht einer, dessen sich die Menschen täglich annehmen, so gibt es vielleicht einen Grund, zwei Verhältnisse zu untersuchen:

 

– Diese erste Krise erscheint in allen Liebesbeziehungen unumgänglich. Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass das Alter der Parteien oder frühere Erfahrungen eine vorbeugende Rolle spielen, obwohl sowohl Alter als auch Erfahrung Bedeutung für Bewusstsein und die Qualität haben können, mit der die Krise zu bearbeiten versucht wird. – Etwas deutet darauf hin, dass die Krise (speziell im ersten lang andauernden Verhältnis) früher aufkommt, je zarter die gefühlsmäßige Grundlage für das

Verhältnis ist. Paradoxerweise entsteht die Krise genau aufgrund der Liebe und nicht ihr zum Trotz.

Diese kommt, weil wir in den ersten Jahren dazu neigen, die Zusammengehörigkeit (Einzigartigkeit, Einigkeit, Zusammenschmelzung usw.) zu stark zu betonen.

Man kann sagen, dass wir auf eine Art zu schlecht auf unsere individuelle Integrität achten – zum Vorteil für die Zusammenarbeit mit dem anderen. Falls der Geliebte nach Hause kommt und vorschlägt: „Wollen wir heute Abend nicht ins Kino gehen?“ – dann sagen wir unmittelbar: „Ja“, weil es das Beste und wichtigste ist, zusammen zu sein. Wir setzen uns nicht hin und fragen uns selbst, ob es etwas anderes gibt, auf das wir mehr Lust haben; Wir interessieren uns nicht dafür, welchen Film wir sehen werden, und insgesamt ist die Anziehung des Zusammenseins stärker als der Drang zur individuellen Entfaltung. Auf dieselbe Weise eifern wir danach, uns über soviel wie möglich einig zu sein: Geschmack, Farben und Wohnungseinrichtung, Kleidung, Musik, Politik, Kindererziehung, Eltern (und Schwiegereltern).

 

Dieser Drang zur Harmonie und Gleichartigkeit ist wahrscheinlich universell, und kann nur schwer auf intellektuellem Weg nuanciert werden. Wir treffen ab und zu auf Paare, die von Beginn an versucht haben, dem Problem vorzubeugen, indem jeder seine eigenen Freunde und verschiedenen Freizeitinteressen hat und vielleicht ein ergänzendes sexuelles Verhältnis zulassen und die also auf diese Weise versucht haben, einige Normen im Paarverhältnis zu etablieren, die dem Bedürfnis nach Trennung entgegenkommen. Auch diese Paare enden jedoch in einer Krise, die auf eine Art davon handelt, dass sie nie „richtig“ verheiratet gewesen seien, und deswegen über den Mangel an Nähe und Zusammengehörigkeit frustriert sind.

 

Im Auftakt zu dieser ersten 7–Jahreskrise entsteht oft die Krankheit, die wir „Rücksichtnahmeentzündung“ zu nennen pflegen; was nicht bedeutet, dass etwas falsch daran ist, auf die Wünsche und Bedürfnisse des anderen Rücksicht zu nehmen. Wir nennen es „Rücksichtnahmeentzündung“, wenn diese Rücksichtnahme aufeinander nicht mehr zur freien Wahl steht; etwas ist, was man tun oder lassen kann. Das erste Stadium dieser Krankheit beginnt bereits im ersten Jahr des Verhältnisses, in dem wir täglich viele kleine, unschuldige Kompromisse eingehen, in welchem wir entweder unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse nicht durchdenken, oder uns trotz deren, dem anderen aus Rücksicht auf die Ruhe und Harmonie in der Gemeinschaft beugen.

 

Einige wenige Jahre später wird diese unschuldige und liebevolle Flexibilität durch eine Periode ersetzt, in der wir vielmehr „Schuldgefühle austauschen“. „Jetzt hat sie dreimal am Tag ja zu meinen Wünschen gesagt, so muss ich jetzt wohl eher ja zu ihr sagen, obwohl ich eigentlich am liebsten nein sagen würde.“ Wir beginnen, könnte man sagen, „Rabattmarken zu sammeln“, von denen wir in unserer Frustration und Naivität erwarten, dass wir sie an dem Tag einlösen können, an dem wir vom anderen ein halbherziges Ja brauchen. Wie die meisten erfahren haben, geht dieser Tauschhandel jedoch selten ganz gut: „Nun habe ich, ich weiß nicht wie viele Male, mich mit deinen geistesschwachen Freunden getroffen, und du kannst nicht einmal…“ lautet die frustrierende Erkenntnis darauf, dass der andere das Kleingedruckte im Vertrag anders deutet, als wir selbst.

 

Die Krise

 

Es ist natürlich bombastisch, zuzugeben, dass alle in dieser Krise landen. Es gibt Ausnahmen, in denen beide Parteien so gesund sind und soviel Selbstgefühl haben, dass die Unbalance weit weg gestellt wird. Es gibt auch Paare, die die Krise unbewusst vor sich her schieben. Sie bemerken die Frustration, aber sind geneigt, sich mehr der materiellen Welt zuzuwenden oder der projektorientierten. Sie werden deswegen im ersten Durchgang oft verschiedene Lösungsmodelle auswählen, wie z. B. aufs Land, oder in eine Wohngemeinschaft zu ziehen (oder diese zu verlassen); wieder auf dem Arbeitsmarkt zu suchen; die Ausbildung fertig zu machen: den Beruf wechseln; ein Boot bauen; sich eine(n) Geliebte(n) nehmen; sich selbst mit zusätzlicher Arbeit eindecken etc.

 

Für diese Paare wird die erste 7-Jahreskrise typischerweise mit der anderen 7-Jahreskrise verschmelzen, die wir, wenn wir individuell sprechen, oft mittlere Lebenskrise nennen.

Die Zeit ist gekommen, an ein „Ich“ anstelle von „Wir“ zu denken.

Wenn die Krise kommt, wird man oft geneigt sein, den anderen als denjenigen zu sehen, der hemmt, verhindert, begrenzt oder sich der Situation verschließt. Wenn der andere nur anders wäre, wäre das Leben leichter, denken wir. Oder wir erleben den anderen plötzlich als „langweilig“, „faul“, „kalt“ usw. Aber so ist es beinahe nie; immer sind wir selbst diejenigen, die sich ändern müssen, wenn die Situation befriedigender sein soll. Wenn die Phantasien von Scheidung, „Pausen“, Liebhabern usw. aufzutauchen beginnen, ist die Zeit gekommen, an den psychologischen Trennungsprozess zu denken, der das einzige ist, das auf längere Sicht hin ein gesünderes Verhältnis schaffen kann. Die Zeit ist gekommen, an ein „Ich“ anstelle von „Wir“ zu denken; sich selbst zu fragen: Was will ich? Worauf brenne ich? Worauf habe ich keine Lust? Was mag ich und was nicht?

Für viele fühlt sich das wie ein sehr bedrohlicher Vorschlag an, der nur in reinem Egoismus enden kann, aber das ist nicht die Absicht des Vorschlags. Das Ziel ist, eine gesündere Balance zwischen „ich“ und „wir“ zu schaffen. Erst wenn wir wissen, was du willst und was ich will, wissen wir, was „wir“ wollen. Rein praktisch gibt es einige Dinge, die man tun kann, um sich selbst und dem anderen unversehrt durch die Krise zu helfen. Finde konstruktive Formulierungen! „Ich will mit dir gerne eine Runde im Wald spazieren gehen“, anstelle von: „Ich halte es nicht aus, immer und ewig fernzusehen.“

 

Die erste Aussage führt dem Verhältnis Energie zu, wohingegen die zweite Energie entnimmt. Hilf dem anderen, indem du nein zu dir sagst. Falls er auf deine Einladung, in den Wald zu gehen sagt: „Soll das jetzt gleich sein, tja, das können wir schon machen, wenn du das meinst.“, dann sage: „Es ist in Ordnung wenn du nicht willst. Vielleicht gibt es etwas anderes, das wir tun können, worauf du mehr Lust hast?“ – und nicht: „Ja, wenn du keine Lust hast, kann es aber auch egal sein. Du sollst es schließlich nicht wegen mir machen!!“ Das mag vielleicht paradox klingen, dass man dem anderen helfen soll, zu etwas nein zu sagen, das man gerne haben möchte, aber auf etwas längere Sicht ist das eine gute Investition.

 

Die meisten von uns tun sich schwer dabei, gänzlich „ja“ zu etwas oder jemandem zu sagen, wenn wir uns nicht frei fühlen, „nein“ zu sagen. Die meisten von uns wachsen immer noch in Familien auf, in denen es als „frech“, „trotzig“, „unartig“, „egoistisch“, „lieblos“ etc. gilt, zu seinen Eltern „nein“ zu sagen, und haben deswegen weniger Angst davor, sich selbst zu verlieren als den anderen. Aber auf lange Sicht verlieren wir sowohl uns selbst als auch den anderen, falls die Angst, abgewiesen zu werden, unsere Handlungen und Haltungen steuert. Erst wenn der andere – mit deiner Hilfe – guten Gewissens „ja“ zu sich selbst sagen kann, kann sie „ja“ zu dir und eurem Zusammensein sagen.

 

– Ihr könnt auch eine Liste über die wichtigen Themen in eurem Leben (Kindererziehung, Religion, Haushalt, Ökonomie, Wohnung u. ä.) anlegen. Es soll jeder seine Liste anlegen und bei den Themen Kreuze machen, bei denen jeder für sich denkt, dass es notwendig wäre, sich darüber einig zu sein. Vergleicht danach die zwei Listen und achtet darauf, wie unterschiedlich sie evtl. sind. Danach könnt ihr die Dinge ansehen, bei denen ihr euch Einigkeit erwartet, und könnt zusammen untersuchen, ob diese Einigkeit nun so notwendig ist. Alle Erfahrung besagt, dass das einzige, worüber man sich lebensnotwendigerweise in einem Verhältnis einig sein muss, eben das ist, dass man verschieden ist.

 

Genau gesehen verlieben wir uns oft aufgrund unserer Unterschiedlichkeit ineinander; die 7-Jahreskrise ist unsere Möglichkeit, den eigentlichen Grund dafür wieder zu entdecken, dass wir einmal die Zelte zusammen aufgeschlagen haben, in der Hoffnung, dass aus 1+1 3 werden könnten. Die Krise kommt, wenn aus1+1 1,5 geworden sind – wenn das Verhältnis uns unseres Selbst beraubt, anstatt uns zu bereichern.

 

©Jesper Juul, www.familylab.de